Mittwoch, 13. Mai 2015

Die Nachbarin



Die Nachbarin

Ich bin die Frau, die Du schon morgens den Rotwein kaufen siehst,
die den Faden verliert, weil sie sich nicht erinnert, ob sie die Zigaretten eingepackt hat,
die auf ihre Unterlagen starrt und sich fragt, warum sie nachts doch noch eingeschlafen ist,
anstatt die Präsentation Korrektur zu lesen.

Ich bin die Frau, die gern sechs Kinder geboren hätte,
die gern mehr Zeit mit ihrer Mutter verbracht haben würde,
die ihr Leben gern mit einem einzigen Mann geteilt hätte,
die sich heute noch fragt, warum sie vor zwanzig Jahren zuhause geblieben ist,
anstatt mit diesem Jungen ins Kino zu gehen.

Ich bin die Frau, die gestern Abend zu laut gelacht hat,
die ein viel zu enges Kleid anhatte,
die nicht wusste, worüber die anderen sprachen,
die sich mitten in der Nacht fragte, warum sie nicht gemerkt hat,
dass ihr Makeup verschmiert war.

Wenn ich Dich ansehe, dann wäre ich gern eine Frau,
deren Bluse gebügelt ist,
deren Kuchen nicht anbrennt,
und deren Kinder Schleifen im blonden Haar tragen.

Doch wenn wir uns begegnen,
dann siehst Du mich mit Deinem Herzen.

(KK 2015)



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