Die Nachbarin
Ich
bin die Frau, die Du schon morgens den Rotwein kaufen siehst,
die
den Faden verliert, weil sie sich nicht erinnert, ob sie die
Zigaretten eingepackt hat,
die
auf ihre Unterlagen starrt und sich fragt, warum sie nachts doch noch
eingeschlafen ist,
anstatt
die Präsentation Korrektur zu lesen.
Ich
bin die Frau, die gern sechs Kinder geboren hätte,
die
gern mehr Zeit mit ihrer Mutter verbracht haben würde,
die
ihr Leben gern mit einem einzigen Mann geteilt hätte,
die
sich heute noch fragt, warum sie vor zwanzig Jahren zuhause geblieben
ist,
anstatt
mit diesem Jungen ins Kino zu gehen.
Ich
bin die Frau, die gestern Abend zu laut gelacht hat,
die
ein viel zu enges Kleid anhatte,
die
nicht wusste, worüber die anderen sprachen,
die
sich mitten in der Nacht fragte, warum sie nicht gemerkt hat,
dass
ihr Makeup verschmiert war.
Wenn
ich Dich ansehe, dann wäre ich gern eine Frau,
deren
Bluse gebügelt ist,
deren
Kuchen nicht anbrennt,
und
deren Kinder Schleifen im blonden Haar tragen.
Doch wenn wir uns begegnen,
dann siehst Du mich mit Deinem Herzen.
(KK 2015)